
CO₂-Entnahme in der EU voranbringen – Die Bausteine (2/3)
26. August 2025
Die gesellschaftliche und politische Legitimität dauerhafter CO₂-Entnahme entscheidet darüber, ob sie eine bedeutende Rolle auf dem Weg zur Klimaneutralität einnehmen kann. Doch Legitimität ist kein Selbstläufer. Sie entsteht, wenn technologische und institutionelle Reife, öffentliche Wahrnehmung und Qualitätssicherung ineinandergreifen – und genau hier zeigen sich systemische Herausforderungen.
Drei Dimensionen – ein Ziel: Vertrauen schaffen
Legitimität basiert auf Vertrauen. Technologische und institutionelle Reife signalisiert, dass dauerhafte CO₂-Entnahme zuverlässig betrieben werden kann. Qualitätssicherung schafft die Gewissheit, dass CO₂ tatsächlich und langfristig entfernt wird. Die öffentliche Wahrnehmung entscheidet letztlich darüber, ob dauerhafte CO₂-Entnahme als notwendiger Bestandteil der Klimastrategie akzeptiert wird.

Doch gerade in diesen drei Bereichen bestehen zentrale Herausforderungen:
- Reife: Viele Technologien wie BECCS und DACCS sind noch nicht über das Pilotstadium hinaus. Genehmigungen dauern, Investitionen sind risikobehaftet, Infrastrukturen fehlen. Ohne reale Anwendungen bleiben auch Lerneffekte aus.
- Wahrnehmung: Dauerhafte CO₂-Entnahme ist in der breiten Öffentlichkeit bislang kaum bekannt – und wenn doch, dann häufig missverstanden. Sie wird oft mit Carbon Capture and Storage (CCS) aus fossilen Quellen gleichgesetzt. Dabei gibt es einen entscheidenden Unterschied: Während fossiles CCS darauf abzielt, CO₂-Emissionen aus Industrieprozessen oder Kraftwerken abzuscheiden, bevor sie in die Atmosphäre gelangen, geht es bei der dauerhaften CO₂-Entnahme darum, bereits in der Atmosphäre vorhandenes CO₂ aktiv zu entfernen und sicher zu speichern. Es handelt sich also nicht um eine Vermeidung neuer Emissionen, sondern um eine gezielte Senkung der bestehenden CO₂-Konzentration.
Zudem wird sie häufig mit minderwertigen Kompensationsmodellen verwechselt, deren Klimawirkung zweifelhaft ist. Diese Assoziationen erschweren die gesellschaftliche und politische Akzeptanz und verdecken den Unterschied zu hochwertiger, nachweislicher CO₂-Entnahme.
- Qualitätssicherung: Damit dauerhafte CO₂-Entnahme glaubwürdig ist, muss sie messbar, nachvollziehbar und dauerhaft sein. Entscheidend sind robuste Systeme zur Überwachung, Berichterstattung und Verifizierung (Monitoring, Reporting and Verification, MRV), die sicherstellen, dass tatsächlich CO₂ entfernt und gespeichert wurde. Derzeit entwickeln Marktakteure zahlreiche Standards mit unterschiedlichen Ansätzen und Qualitätsniveaus. Diese Vielfalt zeigt die Dynamik im Feld, stellt jedoch eine Herausforderung dar, da sie die Einschätzung der tatsächlichen Wirksamkeit einzelner Maßnahmen erschwert. Einheitliche, transparente und wissenschaftlich fundierte Standards würden das Vertrauen stärken und so die Marktakzeptanz und Skalierung erleichtern.
Wo die Politik heute steht – und warum das nicht reicht
Die EU hat mit Programmen wie Horizon Europe und dem Innovationsfonds erste Schritte unternommen, um die Reife dauerhafter CO₂-Entnahme zu fördern. Doch der Fokus liegt bislang auf der Frühphase – erste großskalige Anwendungen erhalten jedoch noch wenig gezielte Unterstützung. Zudem ist der Anteil dauerhafter CO₂-Entnahme an den Budgets dieser Programme verschwindend gering: unter 0,5 %.
Auch die Qualitätssicherung über den Carbon Removal and Carbon Farming (CRCF) Regulation ist zwar ambitioniert, aber derzeit noch in Ausarbeitung: Die erforderlichen methodischen Leitlinien für BECCS, DACCS und BCR befinden sich noch in Entwicklung. Ohne diese kann keine Zertifizierung erfolgen – und ohne Zertifikate bleibt die Nachfrage limitiert.
Die öffentliche Wahrnehmung wiederum sollte über Maßnahmen wie die Green Claims Directive (GCD) gestärkt werden. Dieser sollte verbindliche Regeln für Umwelt- und Klimaversprechen schaffen und Unternehmen dazu verpflichten, bei Net-Zero-Zielen glaubwürdige, hochwertige Kompensationen (z. B. durch dauerhafte CO₂-Entnahme) nachzuweisen. Doch die Verhandlungen zum GCD wurden jüngst gestoppt, ein Rückschritt mit Signalwirkung.
Immerhin adressiert die Industrial Carbon Management Strategy (ICMS) öffentliche Beteiligung bei CO₂-Infrastrukturprojekten. Doch sie bleibt technisch und CCS-zentriert – der besondere Stellenwert der dauerhaften CO₂-Entnahme für Netto-Null wird nicht vermittelt.
Was jetzt zu tun ist: Vier politische Hebel für dauerhafte Glaubwürdigkeit
- Mehr Fördermittel für Research, Development & Innovation (RD&I)
Die Europäische Kommission wird 2025 einen ersten Vorschlag zur Überarbeitung ihrer RD&I-Finanzierungsstrategie für den Zeitraum 2028–2034 vorlegen. Dauerhafte CO₂-Entnahme sollte darin einen festen Platz erhalten – mit klaren Prioritäten über alle Phasen hinweg: von der Grundlagenforschung über Pilotprojekte bis hin zur systemischen Integration. - CRCF vollenden – Methoden entwickeln und implementieren
Die Effektivität des CRCF steht und fällt mit der Qualität der Methoden. Diese müssen für jede Technologie transparent, wissenschaftlich fundiert und regelmäßig überprüfbar sein. - Green Claims Directive revitalisieren – mit einer klaren Rolle für dauerhafte CO₂-Entnahme
Der politische Stillstand bei der GCD gefährdet nicht nur Verbraucherschutz, sondern auch die Marktbildung für dauerhafte CO₂-Entnahme. Die Richtlinie sollte überarbeitet und neu verhandelt werden – mit dem klaren Ziel, den Einsatz hochwertiger CO₂-Entnahme für Klimaversprechen zu fördern. - Kommunikations- und Beteiligungsstrategie entwickeln
Es braucht eine EU-weite Initiative zur Aufklärung über dauerhafte CO₂-Entnahme. Diese sollte leicht verständlich die Unterschiede zu CCS und anderen Kompensationsmitteln erklären, Missverständnisse adressieren und Beteiligung ermöglichen – auf EU-, nationaler und lokaler Ebene. Nur so lässt sich die „social license to operate“ erlangen.
Im dritten Teil dieser Serie beleuchten wir, wie Nachfrage und Angebot sich gegenseitig verstärken – und wie systemische Feedbackschleifen ein dauerhaft tragfähiges Marktumfeld für dauerhafte CO₂-Entnahme schaffen können.
Dieser Artikel basiert auf der Masterarbeit von Ole von Wendorff mit dem Titel „Scaling Up Permanent Carbon Dioxide Removal: Can Policies Unlock a Large-Scale Deployment in the EU?“, die in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Verband für negative Emissionen (DVNE) verfasst wurde.
Scaling Up Permanent Carbon Dioxide Removal: Can Policies Unlock a Large-Scale Deployment in the EU?
Master Thesis by Ole von Wendorff, 2025